Zivilgesellschaftliches Engagement in virtuellen Gemeinschaften?Eine systemwissenschaftliche Analyse des deutschsprachigen Wikipedia-Projektes
Ingo Frost
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Zusammenfassungen
WIKIPEDIA
Wikipedia hat sich in nur vier Jahren zur umfangreichsten internationalen Internetenzyklopädie entwickelt: Es gelang genug Freiwillige zu motivieren, sich an diesem Projekt zu beteiligen und ein frei zugängliches, mehrsprachiges, virtuelles Lexikon aufzubauen. Paradoxerweise kann sich Wikipedia mit anderen gedruckten Enzyklopädien qualitativ messen lassen (geschehen z.B. im Onlinemagazin der Zeitschrift Nature), obwohl sie von Freiwilligen - also weitestgehend nicht von dafür ausgewiesenen Experten - geschrieben wurde und obwohl jeder ohne Anmeldung Artikel direkt verändern oder hinzufügen kann. Ein Aspekt, der dieses Wikipedia-Phänomen erklärt, ist die virtuelle Gemeinschaft Wikipedias, eine besondere, flach hierarchisch organisierte, virtuelle Lektorenschaft, die einen Review-Prozess aller Änderungen gemeinsam ermöglicht.
STAND DER FORSCHUNG
Es werden erste Arbeiten über Wikipedia vorgestellt und diskutiert, die aus vier Feldern stammen:
Während de Tocqueville 1835 das Engagement der Bürger als entscheidenden Faktor der Demokratie hervorhob, haben spätere Arbeiten eine prozedurale und institutionelle Sichtweise der Demokratie als Staatsform geprägt. Heute sind in Deutschland zwei Drittel aller Bürger in zivilgesellschaftlichen Aktivitäten eingebunden (vgl. Freiwilligensurvey: von Rosenbladt (2000)) und ermöglichen in vielen Bereichen das Ideal der demokratischen Selbstverwaltung: Alles, was durch Bürger selbst organisiert werden kann, wird mehr und mehr durch Bürger selbst organisiert. Diese Art des Engagements folgt bestimmten Normen und Prinzipien, die sich im virtuellen Raum u.a. durch Projekte wie Wikipedia mit ungeahnter Kraft entfalten. Die virtuelle Gemeinschaft wird somit in Bezug zu Freiwilligenarbeit und Freiwilligen- Organisationen ausserhalb des Internets gesetzt.
METHODE
Nach ausführlicher Vorstellung der Internetenzyklopädie Wikipedia und einschlägiger Arbeiten in diesem Zusammenhang folgt meine Analyse Wikipedias aus Sicht des zivilgesellschaftlichen Engagements angewandt auf virtuelle Gemeinschaften. Dazu wird Wikipedia als virtuelle Gemeinschaft mit der Organisationsform eingetragener Verein und dem Modell der Bürgerbeteiligung verglichen. Methodisch gehe ich dabei wie folgt vor: Durch ein Modell wird (1) die Struktur der Entscheidungsprozesse offen gelegt. Es kommen (2)zwei Messverfahren zum Einsatz. Aus der Perspektive "Wikipedia als Verein" wird das soziale Kapital bestimmt, aus der Perspektive "Wikipedia als Beteiligungsprojekt" wird die Partizipationsintensität gemessen. Anschliessend wird die gesamte Untersuchung (3) in den Kontext soziologischer und politikwissenschaftlicher Arbeiten eingeordnet. So werden gesellschaftliche Effekte und politische Implikationen im Zeitalter der Wissensgesellschaft aufgezeigt: Eine Gemeinschaft, die sich selbst beobachtet und gemeinsam gemeinsame Probleme löst, ist Archetyp eines sozialen Systems. Die somit zur Diskussion geöffneten Stränge der breiten Thematik laufen bei Wikipedia elegant und auf transparente Weise zusammen. Alle Kommunikations-, Organisations- und Produktionsprozesse laufen vollständig über die Wikipedia-Plattform, auf der alle Daten seit Projektbeginn für jeden zugänglich sind.
ERGEBNISSE
Zwischen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und dem Engagement der Wikipedia-Gemeinschaft lassen sich breite Überlappungen feststellen. Sie beziehen sich auf individuelle Motive, strukturelle Aspekte der Beteiligung und auf die Faktoren soziales Kapital und soziales Vertrauen (nach der Auslegung Putnams). Besonderheiten bei Wikipedia sind die fehlende Planungsphase, wodurch viele Vorgänge vereinfacht werden und die Tatsache, dass im Gegensatz zu Vereinen die Interaktionen zwischen den Engagierten relativ anonym ablaufen und meist sachbezogen sind. Generell ist festzuhalten, dass Wikipedia als funktionierendes Beispiel dafür zu nennen ist, wie sich trotz hoher Teilnehmerzahl jeder in jedem Bereich mit gleicher Stimme einbringen kann: Wikipedia dokumentiert Wissen demokratisch und kann als bürgerschaftlich selbstorganisiert angesehen werden. Wikipedia erweist sich somit als Spiegel unserer Gesellschaft, die zunehmend geprägt wird von Individualisierung, Beteiligung und der wachsenden Bedeutung der Wissensgesellschaft. Wikipedia verbessert den Anschluss an die wissenschaftliche Öffentlichkeit. Gleichzeitig ist Wikipedia aber auch Austragungsort ideologischer Kon flikte (ideologischer Vandalismus).
Von Ingo Frost in der Diplomarbeit Zivilgesellschaftliches Engagement in virtuellen Gemeinschaften? (2006) Wikipedia hat sich in nur vier Jahren zur umfangreichsten internationalen Internetenzyklopädie entwickelt: Es gelang genug Freiwillige zu motivieren, sich an diesem Projekt zu beteiligen und ein frei zugängliches, mehrsprachiges, virtuelles Lexikon aufzubauen. Paradoxerweise kann sich Wikipedia mit anderen gedruckten Enzyklopädien qualitativ messen lassen (geschehen z.B. im Onlinemagazin der Zeitschrift Nature), obwohl sie von Freiwilligen - also weitestgehend nicht von dafür ausgewiesenen Experten - geschrieben wurde und obwohl jeder ohne Anmeldung Artikel direkt verändern oder hinzufügen kann. Ein Aspekt, der dieses Wikipedia-Phänomen erklärt, ist die virtuelle Gemeinschaft Wikipedias, eine besondere, flach hierarchisch organisierte, virtuelle Lektorenschaft, die einen Review-Prozess aller Änderungen gemeinsam ermöglicht.
STAND DER FORSCHUNG
Es werden erste Arbeiten über Wikipedia vorgestellt und diskutiert, die aus vier Feldern stammen:
- Sozialpsychologie in Form von empirischen Studien über Wikipedia und über ein bekanntes Open Source-Projekt,
- Journalismus im Kontext des virtuellen partizipativen Journalismus,
- Wirtschaftswissenschaften: Analyse und Einordnung des produzierten (Informations-)Guts und
- Informatik, insbesondere die Datenanalyse von Wikipedia und das Entwicklermodell "Freie Software" und dessen Übertragung auf "Freie Inhalte"
Während de Tocqueville 1835 das Engagement der Bürger als entscheidenden Faktor der Demokratie hervorhob, haben spätere Arbeiten eine prozedurale und institutionelle Sichtweise der Demokratie als Staatsform geprägt. Heute sind in Deutschland zwei Drittel aller Bürger in zivilgesellschaftlichen Aktivitäten eingebunden (vgl. Freiwilligensurvey: von Rosenbladt (2000)) und ermöglichen in vielen Bereichen das Ideal der demokratischen Selbstverwaltung: Alles, was durch Bürger selbst organisiert werden kann, wird mehr und mehr durch Bürger selbst organisiert. Diese Art des Engagements folgt bestimmten Normen und Prinzipien, die sich im virtuellen Raum u.a. durch Projekte wie Wikipedia mit ungeahnter Kraft entfalten. Die virtuelle Gemeinschaft wird somit in Bezug zu Freiwilligenarbeit und Freiwilligen- Organisationen ausserhalb des Internets gesetzt.
METHODE
Nach ausführlicher Vorstellung der Internetenzyklopädie Wikipedia und einschlägiger Arbeiten in diesem Zusammenhang folgt meine Analyse Wikipedias aus Sicht des zivilgesellschaftlichen Engagements angewandt auf virtuelle Gemeinschaften. Dazu wird Wikipedia als virtuelle Gemeinschaft mit der Organisationsform eingetragener Verein und dem Modell der Bürgerbeteiligung verglichen. Methodisch gehe ich dabei wie folgt vor: Durch ein Modell wird (1) die Struktur der Entscheidungsprozesse offen gelegt. Es kommen (2)zwei Messverfahren zum Einsatz. Aus der Perspektive "Wikipedia als Verein" wird das soziale Kapital bestimmt, aus der Perspektive "Wikipedia als Beteiligungsprojekt" wird die Partizipationsintensität gemessen. Anschliessend wird die gesamte Untersuchung (3) in den Kontext soziologischer und politikwissenschaftlicher Arbeiten eingeordnet. So werden gesellschaftliche Effekte und politische Implikationen im Zeitalter der Wissensgesellschaft aufgezeigt: Eine Gemeinschaft, die sich selbst beobachtet und gemeinsam gemeinsame Probleme löst, ist Archetyp eines sozialen Systems. Die somit zur Diskussion geöffneten Stränge der breiten Thematik laufen bei Wikipedia elegant und auf transparente Weise zusammen. Alle Kommunikations-, Organisations- und Produktionsprozesse laufen vollständig über die Wikipedia-Plattform, auf der alle Daten seit Projektbeginn für jeden zugänglich sind.
ERGEBNISSE
Zwischen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und dem Engagement der Wikipedia-Gemeinschaft lassen sich breite Überlappungen feststellen. Sie beziehen sich auf individuelle Motive, strukturelle Aspekte der Beteiligung und auf die Faktoren soziales Kapital und soziales Vertrauen (nach der Auslegung Putnams). Besonderheiten bei Wikipedia sind die fehlende Planungsphase, wodurch viele Vorgänge vereinfacht werden und die Tatsache, dass im Gegensatz zu Vereinen die Interaktionen zwischen den Engagierten relativ anonym ablaufen und meist sachbezogen sind. Generell ist festzuhalten, dass Wikipedia als funktionierendes Beispiel dafür zu nennen ist, wie sich trotz hoher Teilnehmerzahl jeder in jedem Bereich mit gleicher Stimme einbringen kann: Wikipedia dokumentiert Wissen demokratisch und kann als bürgerschaftlich selbstorganisiert angesehen werden. Wikipedia erweist sich somit als Spiegel unserer Gesellschaft, die zunehmend geprägt wird von Individualisierung, Beteiligung und der wachsenden Bedeutung der Wissensgesellschaft. Wikipedia verbessert den Anschluss an die wissenschaftliche Öffentlichkeit. Gleichzeitig ist Wikipedia aber auch Austragungsort ideologischer Kon flikte (ideologischer Vandalismus).
Kapitel
- 1. Einleitung
- 2. Der Forschungsgegenstand Wikipedia
- 3. Stand der Forschung - Wissenschaftliche Erklärungsansätze
- 4. Ein eigener Erklärungsansatz: - Virtuelles zivilgesellschaftliches Engagement
- 5. Ausblick
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Zeitleiste
3 Erwähnungen
- Geschichte im Netz: Praxis, Chancen, Visionen - Beiträge der Tagung .hist 2006 (Daniel Burckhardt, Rüdiger Hohls, Claudia Prinz) (2007)
- Gemeinschaftliche Schreibprozesse in der Wikipedia (Jakob Voss)
- Wikis - Diskurse, Theorien und Anwendungen - Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft (2007)
- 3. Machtvolle Wahrheiten - Diskursive Wissensgenerierung in Wikipedia aus Foucault’scher Perspektive (Christian Pentzold)
- Konstruktion und Kommunikation von Wissen mit Wikis - Theorie und Praxis (Johannes Moskaliuk) (2008)
- 8. Forschungsperspektiven auf Wikis in Unternehmen (Alexander Warta)
Externe Links
Zivilgesellschaftliches Engagement in virtuellen Gemeinschaften?: Website zur Diplomarbeit ( : 2021-03-21) |
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Beat und diese Diplomarbeit
Beat war Co-Leiter des ICT-Kompetenzzentrums TOP während er diese Diplomarbeit ins Biblionetz aufgenommen hat. Die bisher letzte Bearbeitung erfolgte während seiner Zeit am Institut für Medien und Schule. Beat besitzt weder ein physisches noch ein digitales Exemplar. Es gibt bisher nur wenige Objekte im Biblionetz, die dieses Werk zitieren.