Welche Konsequenzen haben die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung für die Schule?
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Bemerkungen
wer an wissenschaftliche Beweise glaubt, sollte sich einmal die Studie durchlesen, in der ein Team von Psychologen aus Yale vor ein paar Jahren ermittelte, dass selbst absolut unlogische Aussagen Glaubwürdigkeit genießen, wenn dabeisteht, dass Ergebnisse aus dem Hirnscanner ihre Richtigkeit unterstreichen.
Von Harald Staun im Text Mein Kopf gehört mir (2012) "Vielseitig Fordern"; "Lernen mit Spass"; "Praxis ist wichtig" - die Rezepte der Neurodidaktiker muten plausibel an. Doch neu sind sie nicht. Dass Kinder "mit Kopf, Herz und Hand" lernen sollten, hatte schon vor 200 Jahren der Pädagogikpionier Johann Heinrich Pestalozzi gefordert. Von Neuronen und Synapsen wusste er nichts.
Von Johann Grolle, Julia Koch, Katja Thimm in der Zeitschrift Lernen fürs Leben (2004) im Text Tipps vom Neurolabor In Mathematik und in den Naturwissenschaften stehen heute Themen auf dem schulischen Lehrplan, die noch vor wenigen Jahrhunderten selbst gelehrten Geistern Rätsel aufgaben. Zwischen ihren Irrtümern und den Missverständnissen heutiger Schüler gibt es an manchen Stellen Parallelen, die Lehrer kennen sollten, um bestimmte Fehler ihrer Schüler besser zu verstehen. Lehrer können sich gegenwärtig aus der Wissenschaftsgeschichte mehr Anregung für guten Unterricht holen als aus der Hirnforschung.
Von Elsbeth Stern in der Zeitschrift Lernen fürs Leben (2004) im Text Grenzen der Lernforschung auf Seite 36Aber obwohl unsere Lernfähigkeit von der Funktionsweise des Gehirns abhängt,
ist es nicht das neurobiologische Wissen über das Gehirn, welches zum professionellen
Handlungswissen der Lehrpersonen gehört. In welchem Ausmaß die Amygdala,
der Hippocampus oder die Großhirnrinde an den Lernprozessen beteiligt sind,
ist für die Gestaltung schulischer Lerngelegenheiten völlig irrelevant (ganz davon
abgesehen, dass die Erkenntnisse der Neurobiologie in diesem Bereich noch sehr
rudimentär sind).
Von Elsbeth Stern im Buch Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer (2021) im Text Wer lehren will, muss das Lernen verstehen Als Wissenschaftlerin aber, die zum schulischen Lernen arbeitet, setze ich durchaus einige Hoffnungen in die Möglichkeiten der Hirnforschung. Erkenntnisse der Lernforschung beruhten, bislang meist auf Daten, die durch Befragung, Verhaltensbeobachtung oder Leistungsmessung gewonnen wurden. Ein zusätzlicher Blick ins Gehirn könnte für manche Forschungsfragen durchaus von großem Nutzen sein - wie etwa zur frühzeitigen Diagnose potenzieller Sprachstörungen bereits in den ersten Lebensmonaten, so dass Fördermaßnahmen früher einsetzen könnten.
Von Elsbeth Stern in der Zeitschrift Lernen fürs Leben (2004) im Text Grenzen der Lernforschung auf Seite 37Doch bringt das Wissen um die Wirkung des Dopamins die Pädagogik wirklich weiter?
Kann die deutsche Schule tatsächlich an den Erkenntnissen der Hirnforscher genesen? Da verspricht der eine, das Zusammenspiel der Hirnhälften zu stärken; der nächste rät, die Bildung von Synapsen zu befördern; und der dritte mahnt, die heilsame Wirkung des limbiI sehen Systems nicht zu vergessen: So reichhaltig ist die Flut von Tipps, die aus den Neurolabors in die Schule schwappt, dass manch ein Lernforscher bereits argwöhnt: Wird hier womöglich mit falschen Versprechungen gehandelt?
Von Johann Grolle, Julia Koch, Katja Thimm in der Zeitschrift Lernen fürs Leben (2004) im Text Tipps vom Neurolabor auf Seite 33Wir haben zwar hervorragende Befunde, aber einige meiner Kollegen übertreiben das. So gibt es «Berühmtheiten», die als Hirnforscher zum Beispiel versuchen, die Schule zu erklären. Diese Wissenschaftler waren ursprünglich Lurch- oder Rattenforscher und schreiben dann Bücher wie „Wie Kinder lernen“, haben aber von der Lernpsychologie keine Ahnung. Diesen Punkt habe ich immer kritisiert: dass ein Hirnforscher auf einmal kommt und sagt, so funktioniert das. Das sind problematische Grenzüberschreitungen. Je nachdem, wofür sie Erkenntnisse anbietet, ist die Hirnforschung sinnvoll oder sinnlos. Wenn Sie einem Lehrer erklären wollen, wie man ein Kind unterrichtet, brauchen Sie nicht zwingend die Hirnforschung; Sie brauchen gute Kenntnisse der Lernpsychologie.
Von Lutz Jäncke im Text Manche Hirnforscher übertreiben es (2012) Dass gute Lehrer wissen sollten, wie Lernen funktioniert, ist von Vertretern der Gehirnforschung häufig zu hören. In der Lehr-Lern-Forschung wird dieses Anliegen ebenfalls vertreten. Der Begriff des pedagogical content knowledge (fachspezifisches pädagogisches Inhaltswissen) ist seit vielen Jahren in der Lehr-Lern-Forschung etabliert. Darunter versteht man die Zusammenfiihrung von Wissen über den Inhalt und Wissen über Pädagogik (Staub/Stern 2002). Gute Lehrer haben eine Ahnung von dem Vorwissen, das ihre Schüler über den unterrichteten Inhaltsbereich mitbringen und berücksichtigen dies. Sie ahnen auch, aufweichen Missverständnissen bestimmte Fehler der Lernenden beruhen, und sie können auf Fehler und Defizite ihrer Schüler mit gezielten Übungsaufgaben oder Erklärungen reagieren. Wissen über Neurotransmitter oder die Rolle von Hippocampus und Mandelkern bei der Informationsverarbeitung allein reicht nicht aus, um die Schwierigkeiten der Schüler zu verstehen. Für jeden unterrichteten Inhaltsbereich muss derartiges Wissen erarbeitet werden, und von der Wissenschaftsgeschichte und der Entwicklungspsychologie können Lehrer hier mehr profitieren als von der Gehirnforschung.
Von Elsbeth Stern im Journal Gehirnforschung und Pädagogik (2004) im Text Wie viel Hirn braucht die Schule? auf Seite 535Zitationsgraph
Zeitleiste
28 Erwähnungen
- Einführung in die systemische und konstruktivistische Pädagogik - Beratung - Systemanalsyse - Selbstorganisation (Rolf Huschke-Rhein) (1998)
- Der Mythos der ersten drei Jahre - Warum wir lebenslang lernen (John T. Bruer) (1999)
- 1. Der Blick durch das Prisma der ersten drei Jahre
- Lernen - Gehirnforschung und die Schule des Lebens (Manfred Spitzer) (2002)
- Gehirnforschung und Pädagogik - Zeitschrift für Pädagogik Juli/August 2004 (2004)
- Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? (Gerhard Roth) (2004)
- Zeitfenster der Gehirn- und Verhaltensentwicklung - Modethema oder Klassiker? (Sabina Pauen)
- Wie viel Hirn braucht die Schule? - Chancen und Grenzen einer neuropsychologischen Lehr-Lern-Forschung (Elsbeth Stern)
- Lernen fürs Leben - Reformwerkstatt Schule (SPIEGEL special) (2004)
- Grenzen der Lernforschung (Elsbeth Stern)
- Tipps vom Neurolabor (Johann Grolle, Julia Koch, Katja Thimm)
- Lehr-Lern-Forschung und Neurowissenschaften - Erwartungen, Befunde und Forschungsperspektiven (Elsbeth Stern, Roland Grabner, Ralph Schumacher, Christa Neuper, Henrik Saalbach) (2005)
- 2. Wie viel Hirn braucht die Schule? - Chancen und Grenzen einer neuropsychologischen Lehr-Lern-Forschung (Elsbeth Stern)
- 12. Resümee und Ausblick - Was können Lehr-Lern-Forschung und Hirnforschung voneinander erwarten?
- E-Learning - Eine multiperspektivische Standortbestimmung (Damian Miller) (2006)
- Lernen und Gehirn - Der Weg zu einer neuen Pädagogik (Ralf Caspary) (2006)
- Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? (Gerhard Roth) (2004)
- Wie viel Hirn braucht die Schule? - Chancen und Grenzen einer neuropsychologischen Lehr-Lern-Forschung (Elsbeth Stern)
- Dopamindusche im Klassenzimmer
- Wie viel Gehirnforschung verträgt die Pädagogik? (Ralph Schumacher)
- Lernen findet im Gehirn statt - Die Herausforderungen der Pädagogik durch die Gehirnforschung (Ulrich Herrmann)
- Neurowissenschaften und Lernen - Was können neurobiologische Forschungsergebnisse zur Weiterentwicklung von Lehr- und Lernprozessen beitragen? (Heinz Schirp)
- The Future of Educational Neuroscience (Kurt W. Fischer, Usha Goswami, John Geake, Task Force on the Future of Educational Neuroscience) (2010)
- Bildung braucht Persönlichkeit (Gerhard Roth) (2011)
- Manche Hirnforscher übertreiben es (Lutz Jäncke) (2012)
- Populäre Wissenschaft - Hirnforschung zwischen Labor und Talkshow (Torsten Heinemann) (2012)
- Mein Kopf gehört mir - Manfred Spitzers "Digitale Demenz" (Harald Staun) (2012)
- Die Neurowissenschaften versprechen revolutionäre Erkenntnisse und die Heilung von vielen Leiden - Beweise aber bleiben sie seit 50 Jahren schuldig (Felix Hasler) (2012)
- Im Zeitalter der Scharlatane - Hüther, Precht, Fratton & Co. bei Lichte besehen (Roger von Wartburg) (2013)
- Handbook of Research on Educational Communications and Technology - 4th edition (J. Michael Spector, M. David Merrill, Jan Elen, M. J. Bishop) (2014)
- 5. Implications of Neuroimaging for Educational Research (Pavlo D. Antonenko, Tamara van Gog, Fred Paas)
- Urban Myths about Learning and Education (Pedro De Bruyckere, Paul A. Kirschner, Casper D. Hulshof) (2015)
- Stoppt die Kompetenzkatastrophe! - Wege in eine neue Bildungswelt (John Erpenbeck, Werner Sauter) (2016)
- Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer - Lernen - Lehren - Können (Peter Greutmann, Henrik Saalbach, Elsbeth Stern) (2021)
- 2. Wer lehren will, muss das Lernen verstehen - Die kognitionspsychologischen Grundlagen des menschlichen Lernen (Elsbeth Stern)