Soziale Aufmerksamkeit von Fremden
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Bemerkungen
Niemand will bloße Aufmerksamkeit: nicht Mandela in seiner Zelle, der in Einsamkeit seinen Verstand und seine Seele verliert; nicht Willy Loman, der seine Waren anpreist; nicht einmal Donald Trump, der zwanghaft postet. Wir wollen Anerkennung, und Aufmerksamkeit ist ein schwacher, aber plausibler Ersatz. Sie ist die synthetische Form eines erhabenen Erlebnisses. Der Unterschied zwischen den Endorphinen beim Sex mit einem geliebten Menschen und denen, die durch die Einnahme einer Droge freigesetzt werden. Der Unterschied zwischen genährt sein und satt sein.
Soziale Aufmerksamkeit von Fremden ist aus psychologischer Sicht das Äquivalent leerer Kalorien, und die verlockende Aussicht auf das Buffet sozialer Aufmerksamkeit, das uns unsere Smartphones heutzutage bieten, kann uns dazu verleiten, dass wir uns maßlos überfressen. Im modernen Kontext ist Hunger für viele Menschen eine geringere Bedrohung als Überfluss. Billige, industriell verarbeitete Lebensmittel haben das Überessen demokratisiert, was zu einem weltweiten Anstieg der Fettleibigkeitsraten geführt hat ‒ obwohl gleichzeitig Hunderte Millionen Menschen weiterhin vom Hungertod bedroht sind. Wir als Menschheit sind »vollgestopft und ausgehungert«, um es mit den denkwürdigen Worten des Autors Raj Patel auszudrücken. Und so ist es auch mit sozialer Aufmerksamkeit: Wir sind vollgestopft und ausgehungert zugleich. Millionen Menschen sind nach wie vor isoliert, allein und sterben buchstäblich an einem Mangel an sozialer Aufmerksamkeit, und doch ist zur gleichen Zeit die Möglichkeit, zu viel soziale Aufmerksamkeit zu bekommen, demokratisiert worden und für mehr Menschen erreichbar als je zuvor.
Der Star begehrt die Anerkennung durch den Fan, doch der Fan ist ein Fremder, den der Star nicht kennen kann. Da der Star den Fan nicht anerkennen kann, erfüllt die Anerkennung durch den Fan nicht das existenzielle Grundbedürfnis des Stars. Die inhärente Asymmetrie dieser Beziehung lässt sich nur durch echte Freundschaft und Korrespondenz überbrücken, aber das ist in dieser Größenordnung natürlich nicht möglich. Und so begehrt der Star Anerkennung und erhält stattdessen Aufmerksamkeit.
Diejenigen unter uns, die ein gewisses Maß an Berühmtheit erlangt haben, haben die fehlende Gegenseitigkeit in diesen Beziehungen oft sehr deutlich erlebt: die Fremdheit in der Begegnung mit einem Menschen, der einen kennt, der einen sieht, den man selbst aber nicht auf dieselbe Weise sehen kann.
Tatsächlich prägt dieses fundamentale Paradoxon ‒ das Streben nach etwas, das man sich vom Ruhm erhofft, das Ruhm aber nicht liefern kann ‒ das Innenleben der meisten Menschen, die unsere Politik und Kultur dominieren, der Macher, der Stars und Promis, der Politiker und CEOs. Sie begehren eine bestimmte Art von Anerkennung; sie ist quasi per Definition der Motor ihres Ehrgeizes. Und in ihrer extremen Ausprägung, die sie nur allzu oft annimmt, kann man beobachten, wie grotesk sie die Psyche verzerren kann.
1 Erwähnungen 
- The Sirens' Call - Das Ende der Aufmerksamkeit und wie wir sie zurückerlangen können (Chris Hayes) (2025)



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