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Beats Biblionetz - Begriffe

Kompetenzorientierung

iconBemerkungen

Kurt ReusserDie Einführung der Kompetenzorientierung stellt keinen bürokratischen Staatsstreich dar, sondern ist Teil eines evolutionären Prozesses der Schul- und Unterrichtsentwicklung.
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Schliesslich setzte ich mich für eine schlanke, wenig aufwändige Leistungsmessung ein: die Noten. Kompetenzorientierter Unterricht ist nicht falsch, aber man kann nicht Dutzende Kompetenzen pro Kind messen.
Von Marc Bourgeois im Text Marc Bourgeois: «Kein Politikbereich ist so unehrlich wie die Bildungspolitik» (2022)
Kurt ReusserKompetenzorientierung bedeutet mithin eine Art Umdenken, eine Akzentverschiebung von Stoffzielen zu Könnenszielen, von Inhalten zu Lernprozessen, von Lerngelegenheiten zu Fähigkeiten, jedoch auch von Absichten zu überprüfbaren Zielen.
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Lehrplan 21 (Entwurfsfassung)Mit der Orientierung an Kompetenzen wird der Blick darauf gerichtet, welches nutzbare Wissen und welche anwendbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten in welcher Inhaltsqualität Schülerinnen und Schüler in den Fachbereichen erwerben sollen.
Von D-EDK Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Lehrplan Lehrplan 21 (Entwurfsfassung) (2013) im Text Einleitung
Jetzt behauptet man plötzlich, das sei umstritten! Das schreiben die Journalisten einander ab. In der Vernehmlassung war das nicht umstritten. Kritik kam, weil es zu viel im Lehrplan habe und die Grundansprüche zu hoch seien. Die Kompetenzorientierung fanden alle gut.
Von Bernhard Pulver im Text «Ein Lehrplan ist ein Kompass - das ist doch kein Gesetzbuch!» (2014)
Moderne Bildungssysteme und neue Lehrpläne orientieren sich an Kompetenzen. Dabei wird der Blick verstärkt auf die Anwendbarkeit von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtet. Der Erwerb einer Kompetenz bzw. der Grad der Erreichung zeigt sich in der Art und Weise der erfolgreichen Bewältigung von Aufgaben.
Von D-EDK Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Text Grundlagen für den Lehrplan 21 (2010)
Das Problem liegt bei der Ausrichtung auf die Kompetenzorientierung. Der Lehrplan ist so kleinteilig ausformuliert, dass jede Bewegung eines Schülers und jede Reaktion eines Lehrers als Kompetenz und als Kompetenzüber­prüfungskompetenz festgelegt ist. Wer ein Kompetenzraster gesehen hat, der weiss: Das lähmt jeden Unterricht.
Von Konrad Paul Liessmann, Bernhard Ott im Text «Einseitiger und ungebildeter geht es nicht» (2015)
Historisch gesehen wurzelt das Kompetenzkonzept nicht in der Pädagogik oder Bildungstheorie, sondern in der Ökonomie. Die ersten Kompetenzmessungsmodelle wurden mit dem Ziel entwickelt, Prüfungsverfahren für die unterschiedlichsten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale von Menschen zu gewinnen, um deren Einsatz für Unternehmen zu optimieren.
Von Konrad Paul Liessmann im Text Das Verschwinden des Wissens (2014)
Kurt ReusserKompetenzorientierung bedeutet keine Abkehr von einer fachlichen Wissensbildung und schon gar nicht von der Leitidee des verständnisorientierten und problemlösenden Lernens. Es geht im Gegenteil ganz zentral um fachliche Bildung, in deren Kontext auch fachübergreifende – methodische, soziale und personale – Kompetenzen kultiviert werden sollen.
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Kompetenzorientierung ist ein prominentes Beispiel dafür, dass hinter einem Begriff sehr unterschiedliche Vorstellungen stecken können. Während die einen Kompetenzorientierung herbeisehnen, weil es verspricht, mehr als nur Wissen einzubeziehen, fürchten die anderen, dass mit der Kompetenzorientierung vor allem eine übermässige Vermessung von Schülerinnen und Schülern einhergehe.
erfasst im Biblionetz am 19.09.2020
Die Kompetenzorientierung ist kein Paradigmenwechsel und auch keine Reform. Auch wenn wir den Lehrplan 21 konsequent nach Kompetenzen formuliert haben, ist klar: Es geht nichts ohne Wissen. Alle wollen kompetente Leute, die in der Lage sind, ihr Wissen anzuwenden. Die Kompetenzorientierung meint nicht «Können vor Wissen ». Vielmehr muss es heissen: Können auf der Basis von Wissen.
Von Christian Amsler im Text «Die Gegner tun so, als ob das eine Revolution wäre. Stimmt nicht» (2015)
Beat Döbeli HoneggerDie bisher beschriebenen Anforderungen an die Ausbildung künftiger Generationen werden im Lehrplan 21 berücksichtigt. So kann dessen heiss diskutierte Kompetenzorientierung auch als Reaktion auf die Digitalisierung verstanden werden: Simples Faktenwissen wiedergeben kann heute jede Suchmaschine schneller als der Mensch. Gefragt ist stattdessen die Fähigkeit, in konkreten Situationen Probleme meistern zu können.
Von Beat Döbeli Honegger in der Zeitschrift hep magazin 7/2016 im Text Macht der Lehrplan 21 fit für das 21. Jahrhundert? (2016) auf Seite  24
Kurt ReusserUnabhängig von der Einführung des Lehrplans 21 stellt die Kompetenzorientierung eine fruchtbare didaktische Leitidee dar. Vielleicht sollten wir es bei deren Umsetzung und Interpretation mit dem berühmten US-amerikanischen Baseball-Coach John Wooden halten, dessen Lehrverständnis nicht einem Lehr-Lern-Kurzschluss „Ich habe gelehrt, ergo müssen die Schüler gelernt haben“, folgte, sondern dessen Maxime lautete: „You haven‘t taught until they have learned“ (Nater & Gallimore, 2005).
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Mit der Kompetenzorientierung ergibt sich eine veränderte Sichtweise auf den Unterricht. Lernen wird verstärkt als aktiver, selbstgesteuerter, reflexiver, situativer und konstruktiver Prozess verstanden. Schülerinnen und Schüler erwerben Wissen und Fähigkeiten, die sie in unterschiedlichen Situationen anwenden und umsetzen lernen. Immer wieder müssen im Unterricht deshalb anspruchsvolle Anwendungs- und Lernsituationen geschaffen werden, damit Schülerinnen und Schüler diese bewältigen und die erworbenen Kompetenzen anwenden können.
Von D-EDK Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Text Grundlagen für den Lehrplan 21 (2010)
Mit der Einführung des Lehrplans 21 erfolgte auch eine Änderung in der Denkweise. Statt auf fachliche und inhaltliche Lernziele fokussiert die Schule seither vor allem auf den Output. Das zeigt sich in der Kompetenzsprache. Alles muss messbar und kontrollierbar sein. Das Lernen hat an Bedeutung verloren, und an dessen Stelle ist einseitig das Können getreten. Das hat äusserst dichte und dicke Lehrplanvorgaben zur Folge. Das geht bis zu absurden Formulierungen wie: «Die Schülerinnen und Schüler können nach einer langen Laufbelastung die Geschwindigkeit anpassen.»
Von Carl Bossard, Erich Aschwanden, Daniel Gerny im Text «Immer mehr Eltern betrachten die Schule als niedere Serviceleistung des Staates» (2022)
Kurt ReusserIn jedem Fall bleiben Lehrerinnen und Lehrer auch in einem auf die Ausbildung von Kompetenzen gerichteten Unterricht absolut zentral: als Fach-Lern-Experten und als Designer von Lernaufgaben, als Gestalter/innen von Lernumgebungen, als Instruktionspersonen, als fachdidaktische Coaches und als Herausforderer der besten Kräfte der Lernenden (Reusser, 2011). Auch Unterricht unter der Leitidee der Kompetenzorientierung bleibt Fachunterricht mit einer starken Lehrerrolle, auch wenn diese zunehmend stärker individualisierte Anteile von Instruktion und fachpädagogischer Lernunterstützung umfasst.
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Lehrplan 21 (Entwurfsfassung)Mit der Ausrichtung an Kompetenzen geht der Lehrplan 21 über die Formulierung von inhaltlichen Stoffzielen hinaus. In der Beschreibung von Lernzielen in Form von Kompetenzerwartungen sind Inhalte direkt mit daran zu erwerbenden fachlichen und überfachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten verbunden; Wissen und Können, fachliche und überfachliche Kompetenzen werden miteinander verknüpft. In den Fokus rücken damit die für den Kompetenzerwerb notwendigen Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler. Vor diesem Hintergrund kann die Kompetenzorientierung als weitergeführte und erweiterte Form der Lernzielorientierung betrachtet werden.
Von D-EDK Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Lehrplan Lehrplan 21 (Entwurfsfassung) (2013) im Text Einleitung
Kurt ReusserAuch unter der Leitidee der Kompetenzorientierung behält Unterricht seinen Charakter als kognitiver und sozialer Austausch unter Menschen und mit Gegenständen, er bleibt als personale Interaktion auch weiterhin risikoreich, nicht-linear und ergebnisoffen – gerade was Verstehens- und Verständigungsprozesse anlangt. Auch Unterricht unter der Leitidee der Kompetenzorientierung kann scheitern – wie jeder Unterricht. Kompetenzorientierter Unterricht führt zu differenziellen, nicht für alle Schülerinnen und Schüler gleichen Effekten. Pädagogisch zu gestaltender Unterricht – auch unter der Leitidee der Kompetenzorientierung – kann nicht ersetzt werden durch Bildungsstandards und Tests.
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Kurt ReusserKompetenzorientiert unterrichten heisst, nicht nur an den Stoff zu denken, sondern explizit (und damit meine ich expliziter als das viele Lehrpersonen und auch das Curriculum selbst bisher getan haben) die Wissens- und Fähigkeitsstrukturen in den Blick zu nehmen, die sich an diesen Stoffinhalten kumulativ aufbauen und erwerben lassen, d.h., im Hinblick auf einen Gegenstand dezidiert danach zu fragen: "Was will ich eigentlich machen? Warum mache ich das? Was soll bei den Schülerinnen und Schülern hängen bleiben?"; also nicht einfach: "Jetzt nehmen wir die Römer durch", sondern: "Was sollen die Schülerinnen und Schüler – fachlich und überfachlich – lernen, wenn wir uns mit den Römern beschäftigen?"
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Mathias BinswangerDie fehlende Realitätsnähe der «Kompetenzorientierung » zeigt sich schon bei der Definition. So heisst es in den Grundlagen zum Lehrplan 21: «Mit der Kompetenzorientierung ergibt sich eine veränderte Sichtweise auf den Unterricht. Lernen wird verstärkt als aktiver, selbstgesteuerter, reflexiver, situativer und konstruktiver Prozess verstanden.» Das klingt alles sehr wichtig und kompetent. Nur, was das konkret heisst, bleibt im Dunkeln. Hier geht es um typische Begriffe in der heutigen Bildungslandschaft, die alles und nichts aussagen. Der gesunde Menschenverstand sagt uns bereits, dass jedes Lernen, welches diesen Namen verdient, konstruktiv sein muss, und es lässt sich auch gar nicht anders als situativ vermitteln. Wozu dann also solche nichtssagenden Worthülsen?
Von Mathias Binswanger im Text Kompetenz ohne Wissen (2013)
Lehrplan 21 (Entwurfsfassung)Kompetenzorientierung des Unterrichts heisst, spezifische Stoffe und Inhalte so auszuwählen und als Lerngelegenheiten zu gestalten, dass erwünschte lehrplanbezogene Kompetenzen daran erworben oder gefestigt werden können. Die Lehrperson stellt auf der Basis von Lehrplan und Lehrmitteln Überlegungen an, welche Wissens- und Könnensziele sich anhand welcher Fachinhalte und Themen im Unterricht auf welchem Niveau bearbeiten lassen. Darauf basierend gestaltet sie Lernumgebungen und Unterrichtseinheiten, die geeignet sind, dass die Schülerinnen und Schüler daran die relevanten Kompetenzen erwerben können. Dabei schenkt sie den Voraussetzungen in der Klasse bzw. der Lerngruppe Beachtung. Qualitativ gute Lehrmittel und Lernmedien, gehaltvolle Aufgaben sowie vielfältig eingesetzte Methoden sind die Grundlage für die Planung und Umsetzung eines solchen Unterrichts.
Von D-EDK Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Lehrplan Lehrplan 21 (Entwurfsfassung) (2013) im Text Einleitung
Blickt man genauer hin, muss man erkennen, dass sich unter dem Deckmantel der Kompetenzorientierung eine Grundkonstellation des Erkennens und damit der Bildung glatt in ihr Gegenteil verwandelt hat. In dem Masse, in dem Kompetenzen als formale Fertigkeiten verstanden werden, die an beliebigen Inhalten erworben werden können, konterkariert man die Idee jedes durch Neugier motivierten Erkenntnis- und damit Bildungsprozesses: Kompetenzorientierte Kinder und Jugendliche werden schlicht um die Faszination gebracht, die von einer Sache, einem Thema, einem Gegenstand, einem Namen, einem Buchtitel, einer Frage ausgehen kann; sie werden damit um die Chance gebracht, überhaupt ein substanzielles Interesse an der Welt und an sich selbst entwickeln zu können. Gerade die vielgerühmte «Selbstkompetenz» erweist sich als ungeheuerliches Betrugsmanöver, an dessen Ende die Phraseologie des Selbst jede Form der Selbsterkenntnis sabotiert.
Von Konrad Paul Liessmann im Text Das Verschwinden des Wissens (2014)
Lehrplan 21 (Entwurfsfassung)Im kompetenzorientierten Unterricht gestalten die Lehrpersonen zum einen fachlich gehaltvolle und methodisch vielfältige Lernumgebungen und Unterrichtseinheiten. Zum anderen führen sie die Klasse und unterstützen die Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernprozess. Lehrpersonen stellen durch sensible Führung und individuelle fachpädagogische Lernunterstützung sicher, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten entsprechend Kompetenzen aufbauen können. Dabei ist eine Lehrperson-Kind-Beziehung, die auf persönlicher Zuwendung, gegenseitigem Respekt und Vertrauen basiert, grundlegend. Als Voraussetzung bringen Lehrpersonen neben einem vertieften Sachverständnis der zu erwerbenden Lerninhalte pädagogisch-didaktische Kompetenzen sowie diagnostisches Wissen mit. Sie verfügen über die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in der Schule und übernehmen über den Klassenunterricht hinausreichende Aufgaben in der pädagogischen Gestaltung des Schullebens.
Von D-EDK Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Lehrplan Lehrplan 21 (Entwurfsfassung) (2013) im Text Einleitung
Kurt ReusserFachwissen und Kompetenz, Wissen und Können bilden bei diesem Verständnis keine Gegensätze. Kompetenzen beziehen sich nicht, wie absurde Zerrbilder des Begriffs der Kompetenzorientierung dies glauben machen möchten, auf inhaltsfreie kognitive Dispositionen, sondern auf wissensbasierte Fähigkeiten in fachkulturellen und lebensweltlichen Domänen. Der Kern jeden fachlichen Kompetenzaufbaus ist eine anspruchsvolle Kultur- und Wissensbildung. Weder werden durch die Leitidee der Kompetenzorientierung die Inhalte entwertet, noch werden diese beliebig. Es gibt kein anspruchsvolles Können, das nicht auf (mehr oder weniger bewusstseinsfähigen) Formen des Wissens basiert. Allerdings muss die Wissensbildung über die Elementarstufe des Einprägens und Reproduzierens hinausgehen, was in Schulen nicht immer genügend der Fall ist. Dies bedeutet, dass die Potenziale intelligenter Lernarbeit für das Verstehen lernen und die damit verbundene Ausbildung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen auch tatsächlich genutzt werden.
Von Kurt Reusser im Journal Kompetenzorientierung im Text Kompetenzorientierung als Leitbegriff der Didaktik (2014)
Richard David PrechtEine interessante Zwitterstellung in diesem Übergang spielt das Wort »Kompetenzen«. Bereits 1974 vom Deutschen Bildungsrat eingeführt, machte es in den Neunzigerjahren Furore. Statt Wissen sollte das Bildungssystem nun vor allem Kompetenzen vermitteln, wobei die Liste dieser stets länger wurde. Der Gedanke, dass Wissen nur so viel nützt, als es zu geistigen oder körperlichen Handlungen befähigt, war wegweisend. Man soll nicht nur irgendwie wissen, wie etwas geht, sondern auch etwas können. Zugleich aber blieb die Kompetenzen-Pädagogik viel zu tief dem Denken der alten Erwerbsarbeitsgesellschaft verhaftet. Denn indem man nun Hunderte von Kompetenzen voneinander separierte, zerschnitt man – gleichsam arbeitsteilig – Bildung in ungezählte kleine Stücke, die sich sorgsam separieren ließen und seitdem einzeln trainiert werden sollen. Ein solches Konzept entspricht in etwa der Idee, jeden Muskel des menschlichen Körpers einzeln zu trainieren, um die Gesamtfitness zu erhöhen. Doch so wie an Bewegungsabläufen des Körpers stets mehrere Muskeln gleichzeitig beteiligt sind, so auch am geistigen Bildungsprozess
Von Richard David Precht im Buch Freiheit für alle (2022) im Text Wie wird die Sinngesellschaft gebildet?
Mathias BinswangerGenerell gilt also: Es ist gefährlich, die traditionelle Wissensorientierung in der Schule einem neuen Modebegriff wie der «Kompetenzorientierung » zu opfern. Wissensorientierung darf jedoch nicht mit sinnloser Paukerei gleichgesetzt werden. Doch wo wird das heute noch praktiziert? Der Lehrplan 21 rennt hier offene Türen ein, die man nicht einzurennen braucht. Reines Auswendiglernen hat mit echter Wissensorientierung nichts zu tun. Aber ein gewisses Auswendiglernen gehört dazu und ergibt Sinn. Es hilft, wenn man ein paar Eckdaten der Geschichte weiss, auch wenn dies nicht die Daten der Punischen Kriege einige Jahrhunderte vor Christus sein müssen. Nicht selten sind wir später froh, auf unser erlerntes und aufgefrischtes Wissen wie Kopfrechnen, Rechtschreibung oder Geschichte zurückgreifen zu können. Natürlich darf die Schule neben dem reinen Wissen dann auch Kompetenzen vermitteln, aber diese entstehen nicht dadurch, dass sie detailliert und möglichst realitätsfern in einem Lehrplan aufgelistet werden. Sie ergeben sich automatisch im konkreten Schulalltag, da ein guter Lehrer Wissen gar nicht ohne die dazugehörenden Kompetenzen vermitteln kann.
Von Mathias Binswanger im Text Kompetenz ohne Wissen (2013)
Mathias BinswangerDas neue Zauberwort in der Bildung heisst «Kompetenzorientierung». Dies ist auch die zentrale Richtlinie des letzte Woche von den Erziehungsdirektorinnen und -direktoren der 21 Deutschschweizer Kantone in die Konsultation geschickten neuen Lehrplans 21. Zu dieser «Kompetenzorientierung» gehört zwar auch noch etwas Wissen, doch dieses wird zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Schliesslich gibt es heute das Internet, wo man alles Wissenswerte nachschauen kann, und da braucht man das Gehirn nicht mehr mit Wissen zu belasten. Also kann man sich von der alten «Paukerschule» verabschieden und den Schülern stattdessen den Erwerb neuer wichtiger überfachlicher Fähigkeiten wie «methodische Kompetenzen» (z. B. Information nutzen), «soziale Kompetenzen » (z. B. Kooperationsfähigkeit) oder «personale Kompetenzen» (z. B. Selbstreflexion) ermöglichen. «Kompetenzorientierung» bedeutet somit in der gelebten Realität, dass der Unterricht seines Inhalts entleert wird. Das ist aber einer tatsächlich relevanten Bildungsqualität nicht förderlich. Wir brauchen nicht Schüler, die lernen, wie man sich bestimmter Worthülsen bedient, ohne zu verstehen, was damit eigentlich gemeint ist. Doch genau in diese Richtung geht auch der Lehrplan 21.
Von Mathias Binswanger im Text Kompetenz ohne Wissen (2013)

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