Generative Machine-Learning-Systeme sind nicht kreativ, sie rekombinieren nur Bekanntes
Definitionen
Oft wird die Nützlichkeit von Werkzeugen wie ChatGPT als tief eingeschätzt mit der Begründung, dass solche Werkzeuge ja nur bestehende Texte und damit bestehendes Wissen neu kombinieren würden. Echte kreative Antworten seien damit nicht möglich.
Von Beat Döbeli Honegger, erfasst im Biblionetz am 08.07.2023Was bedeutet Kreativität? Im Wesentlichen geht es
darum, aus einem Raum der Möglichkeiten etwas
Neues zu schöpfen, das weder zu offensichtlich
noch zu absurd ist. Menschen wollen von Kreativität
überrascht werden, sie aber auch noch einordnen
können. Das wirklich Neue darf sich vom Bekannten
dabei nicht zu weit entfernen, es muss bei
seinen Rezipienten noch verarbeitbar sein. Zu dieser
grundlegenden Beobachtung kommt noch ein
zeitlicher Aspekt hinzu: Was neu und kreativ ist,
wird es in den folgenden Jahren nicht mehr sein.
Wer von Salvador Dalís Darstellung der Zeit in
Form von zerflossenen, verformten Uhren 1931
noch elektrisiert war, wird ähnliche Darstellungen
schnell langweilig finden. Kreativität heißt also, den
sich dynamisch veränderlichen sweetspot zu finden,
den andere Menschen als kreativ empfinden.
Von Katharina A. Zweig in der Zeitschrift Künstliche Intelligenz (2023) im Text Droht KI den Mensch zu ersetzen? Bemerkungen
Vor zwei, drei Jahren hätten wir noch gesagt, die kreative Leistung kommt von uns, eine Maschine kann das nicht ersetzen. Plötzlich erweist sich eine Maschine als irre kreativ.
Von David Klett im Text Ich spreche jeden Tag mit ChatGPT (2024) Derlei Einwendungen tragen dem Umstand Rechnung, dass eine Maschine, die das gesamte Weltwissen zur Verfügung hat, immer nur im Rahmen des Konventionellen und Bekannten operieren kann, wie «innovativ» ihre elektronisch gesteuerten Schaltkreise sein mögen. Demnach ist es dem menschlichen Geist vorbehalten, substanziell Neues in die Welt zu bringen – und damit die Würde des Menschen zu wahren.
Von Peter Strasser im Text KI - alles wissen und nichts verstehen (2023) Rekombination ist nicht per se unkreativ: Die Aussage, es seien keine kreativen Lösungen möglich, wenn nur bestehende Komponenten neu kombiniert würden, ist in dieser Pauschalität mit Sicherheit falsch: Jeder Text besteht aus einer neuen Kombination der gleichen, schon sehr bekannten 26 Buchstaben unseres Alphabets. Trotzdem würden wir vielen neuen Texten bzw. ihren Autor:innen sehr wohl Kreativität zugestehen. Somit muss die Frage von Kreativität durch Rekombination genauer betrachtet werden.
Von Beat Döbeli Honegger, erfasst im Biblionetz am 08.07.2023Zitationsgraph
6 Erwähnungen
- KI - alles wissen und nichts verstehen (Peter Strasser) (2023)
- Künstliche Intelligenz - Aus Politik und Zeitgeschichte 42/2023 (2023)
- Künstliche Intelligenz - Mehr als nur ein Hype? - Bildungsbeilage der NZZ vom 22.11.2023 (2023)
- Chat-GPT im Unterricht: Wenn Goethes Gretchen sich verplappert (Robin Schwarzenbach) (2023)
- Education for the Age of AI (Charles Fadel, Alexis Black, Robbie Taylor, Janet Slesinski, Katie Dunn) (2024)
- «Mit KI ist es wie mit Psychopathen» (Rex Jung, Alain Zucker) (2024)
- Ich spreche jeden Tag mit ChatGPT (David Klett, Uwe Ebbinghaus) (2024)